Der erste Schnitt in diesem Jahr ist gut gelaufen, die Klauengesundheit haben Sie im Moment im Griff, die Zucht ist seit Jahren auf Leistung ausgelegt. Trotzdem kommen die Färsen nicht richtig in Gang, die Milchmenge bleibt hinter den Erwartungen zurück. Woran könnte das liegen, wo doch die Futtergrundlage eigentlich stimmt?
Was nicht auf den ersten Blick zu sehen ist, zeigt sich, wenn man die Kühe während der Fütterung beobachtet. Sobald der Futterfahrer frisches Futter vorlegt, werden aus den eigentlich so gelassenen älteren Kühen wahre Tyrannen: Forsch sichern sie sich die besten Plätze am Futtertisch, mit großer Wucht stoßen sie weniger selbstbewusste Tiere beiseite. Die vertriebenen Kühe weichen zurück, warten einen Moment - und begeben sich dann in Richtung Liegeboxen. Ist die Ration ein bisschen selektierbar oder der Fütterer heute etwas unkonzentriert, legt er die TMR mit ein wenig mehr Abstand zum Fressgitter ab. Sofort können die Kühe aus der "zweiten Reihe" nicht mehr die hochwertige Ration aufnehmen, die auf dem Papier steht. Eine etwas genauere Analyse zeigt: Das sind vor allem junge Kühe! Kein Wunder, dass die Färsen nicht auf Touren kommen, wenn sie immer mit den Resten des Buffets vorlieb nehmen müssen.
Technische Unterstützung für Probleme im Alltag
Natürlich lässt sich das Verhalten der Kühe im Stall auch studieren, indem man Zeit investiert und es sich mit einer Sitzgelegenheit während der Fütterungszeit im Stall gemütlich macht. Doch es geht auch mit weniger Zeitaufwand: Zeitraffer-Videos ermöglichen es, einen Zeitraum von mehreren Stunden in wenigen Minuten zu überblicken. Smartphones können es, mithilfe von Videoschnittprogrammen lässt sich auch aus "normalen" Videos ein Zeitraffer-Video erstellen. Mittlerweile gibt es jedoch auch Kameras, die Zeitraffer- (oder englisch "Time Lapse")-Videos vollautomatisch erstellen und z. T. sogar aufs Handy versenden.
Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig:
- Kontrolle der Fütterung: Wie verhalten sich die Kühe am Futtertisch, direkt nach der Fütterung oder mehrere Stunden danach? Liegt Futter über die gesamte Länge des Futtertischs oder beginnt die Futtervorlage erst einige Meter hinter dem Stalltor? Wie sehr unterscheiden sich die Fütterungszeiten im Verlauf einer Woche? Wie lang ist der Futtertisch wirklich leer?
- Kuhkomfort überprüfen: Wie legen sich die Kühe in die Boxen ab? Gibt es einen Unterschied zwischen den Liegeboxen? Was löst Überbelegung aus? Nehmen die Kühe die zur Probe installierten Nackenrohre besser an als die bisher genutzten?
- Änderungen im Management bewerten: Sind Kälber wirklich aktiver, wenn sie zu zweit in ein größeres Iglu eingestallt werden? Sehen die Kühe nachts im Warteraum vor dem Melkroboter genug oder steigern sich die Besuche, wenn eine andere Lampe eingebaut wird?
- Mitarbeiter schulen: Wie eng darf der Treiber im Warteraum die Kühe "zusammenschieben"? Warum dauert das Melken trotzdem länger, wenn man jede Kuh einzeln in den Melkstand holt? Warum bringt es nichts, die hinteren Kühe anzutreiben, um die vorderen zur Fortbewegung zu animieren?
Praxisvideo: Treiber richtig vorfahren
Jan Brokering, Milchkuhhalter aus Niedersachsen, hat eine Zeitraffer-Kamera (BRINNO TLC 130, ca. 300 Euro) auf seinem Betrieb getestet. Sein erster Eindruck:
"Die App zur Einstellung der Kamera ist etwas umständlich. Man verbindet das Smartphone erst per Bluetooth, um es dann per WLAN zu verbinden. Die Beschriftung ist noch nicht ganz ausgefeilt. Positiv ist, dass man die Kamera mit der Bildschirm-Vorschau sehr präzise positionieren und so die Aufnahmeeinstellungen gut ausprobieren kann. Die Kamera selbst bleibt mit ihren zwei Tasten einfach gehalten. Prima war der Lieferumfang: Insbesondere mit der Klemme für einen Fahrradlenker kann man die Kamera umstandslos z. B. an einem Wasserrohr anbringen."
Jan Brokering möchte vor allem Bildmaterial zur Verfügung haben, um das Tierverhalten besser zu verstehen, Arbeitsabläufe zu verbessern und seine Mitarbeiter zu schulen. Beispiel Warteraum vor dem Melkkarussell: Zu Beginn einer Gruppe im Wartehof soll der Treiber in regelmäßigen Abständen vorwärts fahren, aber immer noch eine deutliche Distanz zu den Kühen halten. Erst zum Ende der Gruppe sollen die letzten Tiere motiviert werden, sich zu bewegen. "Im Video sieht man sehr gut, dass nicht die Kuh, die als nächste zum Melkstandeingang steht, diejenige ist, die auch als nächstes läuft", berichtet er. Die Kühe finden ihre eigene Reihenfolge. Als Negativbeispiel will Jan Brokering zudem zeigen, was passiert, wenn der Treiber mit zu viel Druck vorfährt, die Kühe Stress haben und so der Zutrieb nicht flüssiger läuft als vorher. So möchte er seine Mitarbeiter sensibilisieren und in Bezug auf "Low Stress Stockmanship" schulen. Er kann sich außerdem vorstellen, durch eine intensivere Nutzung der Kamera optimierte Routine zu entwickeln, um die Kühe mit wenig Aufwand stressfrei zum Melken zu holen (Wie sollte man durch die Gruppe gehen, um so viele Tiere wie möglich ohne persönliche Aufforderung zu bewegen?).
Stalltauglichkeit: auf die Schutzklasse achten
Die Kosten für spezialisierte Zeitraffer-Kameras bewegen sich inklusive Ausstattung (Hülle, Speicherkarte) zwischen 150 bis 350 Euro. Zwischen den Modellen unterscheidet sich die technische Ausstattung (z. B. HD- oder FullHD-Auflösung) und die Funktionsvielfalt (z. B. ob die Kameras die Filme automatisch versenden oder man die Speicherkarten manuell auslesen muss). Professor Anne Riechert von der Stiftung Datenschutz rät, schon bei der Anschaffung auf "Datenschutz durch Technik" zu achten, wie es auch die
Datenschutzbehörden empfehlen: Funktionen, die ohnehin nicht benötigt werden, wie z. B. freie Schwenkbarkeit, umfassende Überwachung per Dome/Rundumsicht-Kamera, Zoomfähigkeit, Internetveröffentlichung oder Audioaufnahmen sollten von der Kamera nicht unterstützt oder zumindest vor dem Betrieb deaktiviert werden.
Zeitgemäß ist mindestens eine High-Definition-Auflösung (HD). Allerdings sollte man sich im Klaren sein, dass eine hohe Auflösung viel Speicherkapazität bindet: 30 Minuten Full-HD-Video "fressen" schnell 450 bis 500 MB! Daher auf ausreichend große Speicherkarten achten.
Die "Stalltauglichkeit" lässt sich an der sog. Schutzklasse ersehen: Die IP-Kennziffern sind nach DIN genormt und geben einen Schutzgrad gegenüber Berührung bzw. Wasser und Feuchtigkeit an. IPX4 bedeutet beispielsweise, dass ein Berührungsschutz hier nicht relevant ist ("X") und das Gerät gegen Spritzwasser von allen Seiten geschützt ist ("4"). Die höchste Schutzklasse 9 bietet Schutz gegen Wasser bei Hochdruck- und Dampfstrahlreinigung. Eine Hülle kann das Gerät zusätzlich vor Staub bewahren.
Heimliche Überwachung ist verboten
Im Stall dürfen Sie nicht einfach so filmen, unabhängig von Zeitraffer- oder normaler Videokamera. Relativ unbedenklich ist es, technische Anlagen oder Tiere aufzuzeichnen oder während der Nacht aufzunehmen. Menschen sind jedoch, nicht zuletzt seit der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die seit Mai 2018 gilt, umfassend geschützt.
Jeder Mensch hat das Recht am eigenen Bild, muss einer Aufzeichnung also explizit zustimmen. Mitarbeiter können jederzeit Widerspruch einlegen oder verlangen, dass die aufgezeichneten Videos gelöscht werden. Sie dürfen nur Daten erheben und verarbeiten, die "zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind".
Heimlich filmen dürfen Sie nur, wenn im Einzelfall begründete Verdachtsmomente für schwere Verfehlungen oder strafbare Handlungen vorliegen, es aber keine andere Möglichkeit gibt, dem Mitarbeiter das zu beweisen. Verstöße gegen den Datenschutz können mit bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des Jahresumsatzes geahndet werden.
Kamera zu Schulungszwecken
Doch Vorsicht: Für Schulungen sollten Sie nur Videos verwenden, welche die Auswirkungen einer bestimmten Handlung zeigen (z. B. die Kühe am Fressgitter oder das Verhalten der Kühe beim Zusammenfahren des Kuhtreibers). Denn sobald Menschen im Video auftauchen, wird es rechtlich kompliziert.
Um die Fütterung oder die Einstellung des Kuhtreibers zu überprüfen, sollten Sie Folgendes tun, um den rechtlich vorgeschriebenen Datenschutz Ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten:
1. Den genauen Zweck für die Videoüberwachung und die Ziele definieren, die damit erreicht werden sollen,
2. Festlegen, wie lange die Daten gespeichert werden (meist max. 48 Stunden),
3. das Ganze in einem datenschutzrechtlichen Verzeichnis beschreiben. Ein Muster für ein solches Verzeichnis ist
hier abrufbar,
Musterbeispiele für kleine Unternehmen stellt das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht zur Verfügung.
4. Die Mitarbeiter über die Aufzeichnung und den Standort der Videoüberwachung informieren,
5. den überwachten Bereich kennzeichnen. Auf dem Schild sollte angegeben werden, wer verantwortlich ist (Name und Adresse), warum die Kamera aufzeichnet (Zweck der Aufzeichnung) sowie die Dauer der Speicherung.
Würden Mitarbeiter durch die Zeitraffer-Kamera gefilmt, müsste zusätzlich zu den genannten Maßnahmen ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter bestellt werden. Das kann ein Mitarbeiter sein, der entsprechend geschult wird, oder ein externer Experte auf Honorarbasis. Zudem benötigt man eine sogenannte "datenschutzrechtliche Folgenabschätzung" dieses Beauftragten. Diese prüft und dokumentiert, ob Mitarbeiter zu dem geplanten Zweck überhaupt aufgezeichnet werden dürften. Marco Becker, Datenschutzberater, stellt klar: "Besonders kritisch ist, dass ein Kuhstall ein 'nicht öffentlich zugänglicher Ort' ist, anders als beispielsweise der Parkplatz eines Supermarktes. An nicht öffentlichen Orten gelten strenge Regeln, eine Videoaufzeichnung von Personen ist nur im begründeten Ausnahmefall möglich."
Generell gelte, dass die so erhobenen Daten ausschließlich für den zuvor definierten Zweck ausgewertet und auch nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen. Videoaufnahmen, um die Leistung von Mitarbeitern zu kontrollieren, sind hier grundsätzlich verboten.
Fazit
Mit Zeitraffer-Kameras lässt sich das Tierverhalten im Stall überprüfen. Noch unbeachtete "Schwachstellen" lassen sich so aufdecken! Tiere zu filmen ist dabei kein Problem - dem Aufnehmen von Mitarbeitern setzt der Datenschutz jedoch enge Grenzen.