Ein Milch-Junkie war Bas de Groot schon lange. „Ich habe früher bis zu vier Liter Milch am Tag getrunken“, erzählt der 42-jährige Niederländer und lacht. Zusammen mit einem guten Freund arbeitete der gelernte Landwirt vor ein paar Jahren in einem Think Tank für Urbane Landwirtschaft. Zu den gemeinsamen Treffen brachte er oft eine Flasche Milch mit, von der er gerade begeistert war. „Ich war der Freak und habe immer begeistert von dem total anderen Geschmack dieser oder jener Milch erzählt.“ Daraufhin bat sein Freund ihn, für eine Diskussions-Plattform für Milchprodukte im Internet einen Beitrag über die Geschmacksvielfalt von Milch zu schreiben. Diesen Beitrag fand ein Jahr später eine Künstlerin, die im Rahmen eines Projekts Milchverköstigungen anbieten wollte. Sie war die erste, die ihn einen Milchsommelier nannte. Dieser Titel klebt seit dem an Bas wie das Etikett auf einer Milchflasche.
Was macht ein Sommelier?
Sommeliers sind Experten und Berater in Sachen Wein. Sie beraten z. B. Gäste in Restaurants oder sind im Handel für den Weineinkauf und die fachgerechte Lagerung von Wein verantwortlich. Außerdem führen sie Weinveranstaltungen durch, bilden Mitarbeiter und Auszubildende zu Weinexperten aus. Voraussetzung für die Fortbildung zum Sommelier ist unter anderem eine anerkannte Ausbildung in der Gastronomie oder als Winzer.
Die Geschmäcker sind verschieden
Seine Faszination für Milch führt zurück in die Kindheit. „Als ich mit acht Jahren das erste Mal Rohmilch getrunken habe, habe ich am nächsten Tag sofort wieder Milch vom selben Betrieb getrunken – die hat ganz anders geschmeckt. Seitdem fasziniert mich die Vielfalt an Milch, keine Milch schmeckt wie die andere“, erläutert er seine Leidenschaft. „Nur die Milch im Supermarkt schmeckt immer gleich“, erklärt er.
Die richtige Art der Verköstigung musste sich Bas zunächst aber noch selbst aneignen. Eine Freundin, die als Sommelier arbeitet, weihte ihn in die hohe Kunst der Verköstigung ein. Wie schmeckt man überhaupt? Wie viel Milch nimmt man in den Mund? Vieles, was für den Wein gilt, gilt für die Milch genauso. „Es ist aber total schwierig, verschiedene Geschmäcker bei Milch zu beschreiben“, erklärt der Niederländer. „Es ist viel einfacher, die Wahrnehmung der Milch im Mund zu erklären, z. B. dass es auf der Zunge kitzelt.“ Um den Geschmack zu beschreiben, gebe es einfach nicht die richtigen Worte, meint der 42-Jährige. Als Standard-Milch, mit der er andere Milch vergleicht, nimmt er 5,5 %-fetthaltige Milch aus dem Supermarkt. „Meist schmeckt die Milch zuerst cremig und süß“, erklärt er. „Dann folgt ein intensiver Hauptgeschmack, der oft ganz unterschiedlich schmecken kann, manchmal bitter, manchmal süß. Es kann auch sein, dass man bei Rohmilch einen Fettfilm spürt.“
Die Verköstigung an sich ist für den Milchsommelier ein Gesamterlebnis. Deswegen probiert er die Milch am liebsten direkt im Kuhstall. „Ich möchte die Kühe dabei sehen und riechen. “
Andere Länder, andere Milch?
Seine Popularität hat eine steigende Tendenz. „Als 2015 die Milchquote wegfiel, berichteten auf einmal viele normale Medien über die Milchbauern“, erzählt Bas de Groot. So landete auch der Milchsommelier schließlich in der Zeitung. Jeder Artikel über ihn führte dazu, dass ein weiteres Medium auf ihn aufmerksam wurde. So berichtete schließlich sogar die britische BBC über den niederländischen Milch-Experten. Mittlerweile ist er zweimal im Jahr außerhalb der Niederlande unterwegs und hält Vorträge über Milch. In Südkorea war er sogar das Gesicht einer Werbekampagne für die Premium-Milch einer Molkerei, in den USA besuchte er einen Milcherzeuger auf seinem Betrieb für einen Video-Dreh.
Der breitgefächerte Geschmack von Milch ist überall auf der Welt ähnlich, meint Bas. "Es gibt keine Milch, die nur aus einem Land kommt, da es so viele verschiedene Geschmäcker gibt." Das liegt unter anderem an hohen technischen Standards und dem globalisierten Milchmarkt. Trotzdem kann die Milch in einigen Regionen oder Ländern manchmal doch anders schmecken. Der Grund dafür liegt in den verschiedenen Klimazonen: „Umso wärmer es in einem Land ist, umso mehr wird die Milch behandelt, um haltbarer zu werden. In Frankreich und Italien etwa wird deutlich mehr ultrahocherhitzt als z. B. in Dänemark“, erklärt der Milchkenner, „Durch diese Methode schmeckt die Milch in Dänemark schon wieder ganz anders als in Südeuropa.“ Denn: Bei der Erhitzung (UHT) gehen z. B. die Proteinverbindungen kaputt, dann schmeckt die Milch insgesamt etwas süßer.
Weidegras macht Milch süß
Hauptberuflich arbeitet der gelernte Landwirt als Physiotherapeut. Mit Jugendlichen betreibt er „Urban farming“ und baut Gemüse in Stadtgebieten an. Aus seiner eigenen Erfahrungen beim Anbau von Gemüse hat er eins gelernt: Die Qualität der Frucht wird stark vom Boden beeinflusst. „Wenn ich auf einem sandigem Boden Kohl anbaue, werden die Kohlköpfe weich. Auf Lehmboden wachsen Kohlköpfe, die hingegen steinhart werden.“ Was Kühe fressen und auf welchem Boden dieses Futter gewachsen ist, muss also auch einen Einfluss auf die Qualität und den Geschmack von Milch haben. Davon ist der Milchspezialist überzeugt.
An der Milch kann er zum Beispiel erkennen, ob eine Kuh ausschließlich Weidegras oder nur Silage gefressen hat. Bei Weidehaltung ergibt sich laut dem Milchsommelier „eine schöne Himbeernote“. Da die Milch von Jerseykühen einen höheren Fettgehalt hat, unterscheidet sie sich im Geschmack ebenfalls deutlich von der Standard-Milch. „Jersey-Milch eignet sich deswegen besonders für Milchschaum auf Kaffeegetränken!“, weiß der Niederländer. Das wichtigste jedoch beim Geschmack der Milch ist die Gesundheit der Kuh. „Nur gesunde Kühe geben gute Milch. Und ist die Milch gut, läuft der Betrieb auch gut.
Die Milch ist der Spiegel des Betriebs!"
Bas de Groot, Milchsommelier
Zukunft mit Milch oder mit Mandeldrink?
Auch wenn der Verbrauch an Milch und Milchprodukten in den westlichen Ländern eher rückläufig ist, sieht der Milchsommelier gute Chancen für die Zukunft der Milch. Solange man das macht, auch gerne macht, ist alles in Ordnung. Die Konkurrenz für Milch ist angestiegen, erklärt der Milchsommelier. „Früher hatte man die Wahl zwischen Kaffee, Tee, Milch, Wasser, Apfelsaft und Orangensaft“, erklärt er den Rückgang des Milchkonsums, „Bei der Auswahl an Getränken heute könnte man wahrscheinlich zehn Jahre lang jeden Tag etwas anderes trinken, ohne sich zu wiederholen.“ Außerdem nimmt der Anteil der sich vegan ernährenden Bevölkerungsgruppe immer mehr zu. Dabei scheinen diese Grenzen keineswegs fest zu sein.
„Es gibt auch durchaus Menschen, die sich unter der Woche vegan ernähren und dafür am Wochenende Kuhmilch oder Joghurt essen“, sagt er. Dafür, dass sich immer mehr Menschen definieren über das, was und wie sie essen, bietet der Markt viele Möglichkeiten – und eine Möglichkeit für jeden Produzenten. Denn: Besondere Milch lässt sich auch besonders vermarkten, ist er überzeugt. Verbraucher und Landwirte müssten Milch wieder mehr wertschätzen, etwa wie beim Käse. Dort sei zum Beispiel Bergkäse aufgrund seiner Herkunft ein besonders Produkt. „So sollte es auch mit der Milch sein, die Milch aus den Niederlanden sollte sich von der Milch aus den bayerischen Voralpen unterscheiden.“
Eine Frage ist dem Milchexperten jedoch geblieben: Kann man als Landwirt den Geschmack der Milch steuern? „Das kann ich immer noch nicht beantworten, denn dafür gibt es viel zu viele Variablen“, sagt er. Den Geschmack vorauszusagen, ist fast unmöglich. Denn je nach Futtergrundlage, Genetik, Laktationsstadium, Melkzeitpunkt, Grünlandzugang, … schmeckt die Milch immer wieder ganz anders“, erklärt Bas de Groot. „Milch ist ein lebendiges Produkt, deswegen verändert sie immer wieder ihren Geschmack.“
Das Video von Bas de Groots Besuch bei einem kalifornischen Milcherzeuger gibt es hier zu sehen: