Luftiges Konzept: Erster querbelüfteter Kuhstall Ungarns
Familie Dorcsinecz hat 2022 in Ungarn einen Stall für 688 Kühe mit besonderer Belüftung (cross-ventilated) gebaut. Vor kurzem ist die Herde eingezogen. Was hat sich seitdem verändert?
Auf den ersten Blick vermutet man nicht unbedingt, dass in dem flachen Gebäude am Rande des alten Gehöfts Kühe gehalten werden - wie ein klassischer Kuhstall sieht...
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Auf den ersten Blick vermutet man nicht unbedingt, dass in dem flachen Gebäude am Rande des alten Gehöfts Kühe gehalten werden - wie ein klassischer Kuhstall sieht es nicht aus. Von vorne kann man nicht in den Stall hineinsehen und blickt auf eine matt-schwarze Verkleidung. An einer Seite hängen in zwei Reihen 100 silberne Ventilatoren, die sofort ins Auge fallen. Photovoltaik-Platten bedecken das ganze Dach, schimmernd in der Oktobersonne. Über hundert Meter breit, achzig Meter lang und an der höchsten Stelle des Daches gerade einmal sieben Meter hoch.
„Einen normalen Stall zu bauen, wäre keine Herausforderung gewesen“, sagt Balázs Dorcsinecz, Geschäftsführer der Kisdombegyházi Agro Ferr GmbH mit einem Augenzwinkern. Er hatte die Idee für den Neubau eines Kuhstalls mit besonderem Belüftungskonzept. Der Betrieb liegt im Südwesten Ungarns nahe der rumänischen Grenze. Im Sommer klettern die Temperaturen hier über 42 °C – vielleicht ein gutes Klima um Wassermelonen anzubauen, aber für Milchkühe absolut ungeeignet. Erfahrungen mit Lufttechnik hat der Geschäftsführer durch zwei anderen Betriebszweige: die Sauenhaltung und die Lagerung des Gemüses aus eigenem Anbau.
Ein normaler Stall wäre keine Herausforderung gewesen.
Balázs Dorcsinecz
Belüftungskonzept: Cross-ventilated
Bis zum Umzug in den Neubau waren die rund 400 Kühe in alten Tiefstreustallungen aus den 70er Jahren untergebracht. Auch hier versuchte der Betrieb mit Ventilatoren für eine Klimatisierung zu sorgen, aber die Kühe zeigten im Sommer deutlich, dass sie trotzdem unter der Hitze litten. Die Milchleistung ging im heißesten Monat August um durchschnittlich 6 Liter pro Tag zurück. Die Tiere legten sich nicht mehr ins Stroh, blieben stattdessen stehen, um ihre Körpertemperatur besser zu regulieren.
Zusammen mit einem befreundeten Physiker hat Balázs Dorcsinecz das Lüftungskonzept für den neuen Kuhstall 2020 erarbeitet, Luftmengen und -bewegungen kalkuliert. Nach ihren Berechnungen haben sie dann von einer ungarischen Firma die Rotoren und Software erstellen lassen.
Sogenannte „cross-ventilated“ (engl. querbelüftete) Ställe gibt es zwar auch in den USA, aber aufgrund der Corona-Beschränkungen während der Stallplanung konnte Balázs Dorcsinecz sich nie einen fertigen Stall mit dieser Belüftung selber anschauen. In Ungar gibt es bisher keine Ställe mit dieser Belüftung. Aber er war überzeugt davon, dass es funktionieren würde und wagte den Bau.
2022 wurde der Stall gebaut – mit finanzieller Unterstützung vom Staat (50 % Subvention auf den Rohbau). Neben der Belüftung gibt es noch weitere Besonderheiten: Die Hochliegeboxen wurden mit kühlenden Wasserbetten ausgestattet, 12 Melkroboter (DeLaval) eingebaut, Selektionstore mit automatischer Messung des Body-Condition-Scores über Kameras platziert, Photovoltaik-Anlagen (500 kW) auf dem Dach installiert… Insgesamt kostete der Stallbau inklusive Gülletechnik 2,1 Milliarden Forint. Das sind umgerechnet 5,5 Millionen Euro. Die Ventilatoren allein kosteten 30.000 Forint.
Im Dezember 2022 sind die ersten Kühe eingezogen. Derzeit werden 490 Kühe gemolken. Platz wäre für 688 Tiere, doch die Herde wird aus der eigenen Nachzucht aufgestockt, weshalb der Stall noch nicht voll belegt ist. Die Herde ist mit einem Anteil von 65 % Erstkalbinnen somit sehr jung. „Wie sich die Leistung nach dem Umzug vom alten in den neuen Stall verändert hat, kann man daher auch schlecht vergleichen“, sagt Balázs Dorcsinecz. Außerdem hatten sie einen holprigen Start nach dem Umzug. Die Betonoberfläche der Laufgänge war zu rutschig, musste nachträglich noch gefräst werden. Das brachte viel Unruhe in den Stall.
Mit dem Umzug in den neuen Stall musste auch die Fütterung angepasst werden. Die Ration besteht derzeit aus:
17 kg Roggensilage
15 kg Maissilage
11,5 kg Kraftfutter (Mais, Gerste, Soja, Raps)
max. 4 kg Kraftfutter am Roboter
Die Kraftfuttermenge, die die Kühe am Roboter erhalten, hängt von der Milchleistung und dem Laktationstag ab. Bis zum 70. Laktationstag bekommen alle Kühe 4 kg. Danach wird die Leistung als Faktor berücksichtigt. Alle Kühe, die > 40 Liter geben, können maximal 4 kg abrufen. Kühe, die weniger als 20 Liter geben, erhalten 1 kg.
Vor einem Jahr hatte der Betrieb noch Luzerne in der Ration, von der er rund 250 ha anbaut. Doch in diesem Jahr passte der Roggen mit 22 % Protein besser in die Kuhration, so dass die Färsen und Rinder nun Luzerne zu fressen bekommen. Das Futter wird hinter dem neuen Stall in sechs Silokammern gelagert.
Im Oktober wurde der letzte Mais gehäckselt (kurze Häcksellängen, keine Shredlage) und in Silokammern hinter dem Stall gelagert. Der Betrieb baut 200 ha Maissilage an.
(Bildquelle: Thiemann)
Die Körperkondition immer im Blick
An den Selektionstoren haben BCS-Kameras die Kondition der Kühe immer im Blick. Am Anfang und Ende der Laktation streben sie einen BCS von 3,5 an. „In 80 % der Fälle ist der BCS in Ordnung“, sagt Balázs Dorcsinecz. Im Schnitt liegt die Herde bei einem BCS von 3,7. Nach der Kalbung fällt der BCS auf durchschnittlich 3,2 ab und steigt dann im Laufe der Laktation wieder auf 3,5 bis 3,6 an. Ziel ist es, dass die Kühe so gut es geht ihren BCS halten und dabei nicht verfetten.
„Früher hatten wir kaum Daten über unsere Kühe“, sagt die angestellte Herdenmanagerin Zsóka. Sie sitzt vor dem Computer im Stallbüro und ruft mit wenigen Klicks die Zahlen ihrer Kühe im Herdenmanagementprogramm auf. „Vor dem Umzug hatten wir nur die MLP-Daten einmal im Monat.“ Im Vergleich zum alten System sei es, als würde man statt in einem alten Auto plötzlich in einem Raumschiff fahren.
Die größte Herausforderung ist es, die guten Tage zu wiederholen.
Früher war die Fruchtbarkeit ein großes Thema auf dem Betrieb. „Es war schwer die Kühe im Sommer tragend zu kriegen“, berichtet Balázs Dorcsinecz. Jetzt ist der erste Sommer im neuen Stall ist vorüber – sein Fazit: Ohne Probleme. Der Besamungsindex liegt bei den Kühen bei 2,9. Für die Brunsterkennung nutzen sie Aktivitätssensoren im Halsband der Kühe. Besamt werden alle Melkenden beim ersten Versuch mit gesextem Sperma. Die Kälber werden alle genotypisiert und darüber auch selektiert. Bei der Auswahl der Bullen ist ihnen Langlebigkeit und Milchleistung wichtig.
In den alten Ställen stehen heute die Trockensteher und Rinder.
(Bildquelle: Thiemann)
Häufig gestellte Fragen zum Betrieb:
Wo liegt die Milchmenge pro Kuh und Tag?
Da die Herde nach dem Umzug in den neuen Stall aufgestockt wurde, besteht sie zu 65 % aus Erstkalbinnen und der Stall ist noch lange nicht voll besetzt. Platz wäre für 688 Kühe, derzeit stehen hier 490 Kühe.
(Bildquelle: Thiemann)
Wie ist die Kälberhaltung organisiert?
Die Kälber werden restriktiv getränkt (maximal 7,5 Liter). Die ersten zwei Wochen werden die Kälber in Inglus gehalten und wechseln dann in Gruppen von acht Kälbern, die dann bis zum Absetzen zusammen gehalten werden. Getränkt wird bis zum 72. Lebenstag mit einer Abtränkkurve, die vom Milchtaxi vorgegeben ist. Sie erreichen Tageszunahmen von 800 g/Tag. Enthornt wird mit einer Paste (es werden keine genetisch hornlosen Bullen eingesetzt).
Was passiert mit den männlichen Bullenkälbern?
Die verlassen auf dem Betrieb so früh wie möglich (gesetzlich nach frühestens 14 Tagen). Die Iglus für die Bullenkälber stehen separat zu den Kuhkälbern.
Welche Schritte sind als nächstes geplant?
Zukünftig möchte der Betriebsleiter weiter in die Milchproduktion investieren und den Stall nochmal spiegeln.
Im ungarischen Kocs prallen zwei Welten aufeinander: 520 Kühe stehen in einem modernen Roboterstall, die andere Hälfte der Herde in alten Tiefstreuställen.
1.050 Kühe stehen am Betriebsstandort Komárom des Sano Agrar Instituts in Ungarn. Das tägliche Fluten der Laufgänge ist nur eine von vielen Besonderheiten.